Das gelungene Ich: Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben

Hans-Otto Thomashoff, Ariston, 2017, 271 S.

© 2017, Verlagsgruppe Penguin Random House

© 2017, Verlagsgruppe Penguin Random House

Hans-Otto Thomashoff arbeitet als Psychiater und Psychoanalytiker in Wien. Psychoanalyse ist der psychotherapeutische Ansatz nach Sigmund Freud. Dieser Ansatz misst der frühkindlichen Entwicklung große Bedeutung bei und sucht in Erlebnissen aus dieser Phase nach Erklärungen für psychische Störungen und Beeinträchtigungen bei Erwachsenen, häufig auch im Bereich der Sexualität. In der Herangehensweise spielt die sprichwörtliche ‘Therapeutencouch’ eine wesentliche Rolle: Der Psychoanalyst sitzt oberhalb des Patienten und außerhalb seines Blickfelds. Aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ist er in der Lage, im Zusammenspiel mit dem Patienten die Herkunft und Bedeutung seiner oft aus dem Unbewussten entstehenden Assoziationen zu erklären.

Die Mutter der Psychoanalyse

Die fachliche Ausrichtung des Autors spiegelt sich in den wesentlichen Aussagen des Buches wider, insbesondere in der Betonung der Bedeutung der Mutter-Kind Beziehung für die gesunde psychische Entwicklung. Das Buch ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Der erste behandelt aktuelle Erkenntnisse aus der Hirnforschung und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit. Der zweite überträgt diese Erkenntnisse in den Alltag.

“Leben ist Gefühl”

Im ersten Abschnitt spielen zwei Aspekte der menschlichen Natur für Thomashoff eine zentrale Rolle: der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung der Persönlichkeit und die Bedeutung von Bindungen und Beziehungen. Um in einer feindlichen Umwelt zu überleben, muss der Mensch Gefahren wahrnehmen und aus Erfahrungen lernen. Hier spielen Gefühle eine zentrale Rolle – “Leben ist Gefühl” – allen voran die Angst. Denn nur Angst vor Gefahren schützt den Menschen vor leichtsinnigem und lebensgefährlichem Verhalten. Deshalb sind die Mechanismen der Angst in den evolutionär ältesten Teilen des Gehirns angesiedelt.

Gefühle vor Gedanken

Das rationale Denken und das Herstellen von Zusammenhängen ist in evolutionär neueren Teilen des Gehirns angelegt. Aus der Erfahrung von sich wiederholenden Erfahrungen entwickelt dieser Teil Denkmuster und innere Glaubenssätze, die dem Menschen nach und nach das Überleben erleichtern. Solche Muster machen das Leben einfacher: Aus der Fülle von möglichen Überlegungen und Reaktionen legen sie die persönlichen Einstellungen und Antworten fest – und geben damit Kapazität frei für das Nachdenken über neue Fragen.

Denkmuster sind eingeschliffen – auch falsche

Dabei ist es keinesfalls ausgemacht, dass diese Denkmuster und Glaubenssätze rational richtig oder auch nur dauerhaft hilfreich sind. In der Entwicklung der Persönlichkeit werden sie geprägt von den frühesten Erfahrungen ab der Geburt und teilweise schon davor. Und hier kommt nach Thomashoff die zentrale Rolle von Beziehungen und Bindungen zum Tragen. Die Gefühle im Zeitpunkt des Erlebens beeinflussen entscheidend die Entwicklung der Denkmuster. Und je früher die Erlebnisse in der frühkindlichen Entwicklung stattfinden umso tiefer und bleibender ihr Einfluss. Erlebt das Kleinkind eine Umwelt, in der es sich sicher und geborgen fühlt, dann entwickelt es Vertrauen in sich und andere und wird sich so in der Welt zurechtfinden. Geschieht dies nicht, zum Beispiel durch die frühe Trennung von den als sicher erlebten Bezugspersonen, entstehen rasch problematische Denkmuster (zum Beispiel „ich bin nicht liebenswert“), die sich im weiteren Lebensweg festsetzen können.

Gutes bewirken, Stress bewältigen, Stimmigkeit erlangen

Zusätzlich zu den Beziehungen sieht Thomashoff drei weitere Elemente als zentral für die menschliche Existenz an. Zunächst das aktive Bewirken, das heißt, die Motivation, Dinge zu erschaffen. Denn Leben besteht nicht nur in der Vermeidung von Gefahr, sondern eben auch in der Erschaffung von Neuem. Dazu kommt unser Verhältnis zum Stress, der ebenso hilfreich wie schädlich sein kann. Dabei helfen gelungene Beziehungen, den negativen Stress zu verringern. Und schließlich das Streben nach Kohärenz: Unser Bemühen, einen Sinn im Leben zu finden und Gefühle und Gedanken in Übereinstimmung zu bringen, für uns persönlich wie auch in unseren Beziehungen.

Die vier Säulen

Was heißt das nun für die Frage nach dem erfüllten Leben? Nach Thomashoff ruht ein gelingendes Leben auf den vier Säulen von guten Beziehungen, aktivem Handeln, einer gesunden Menge an Stress und einem Gefühl der Stimmigkeit. In allen vier Bereichen sieht Thomashoff die Übereinstimmung von Gefühlen und Gedanken als zentrales Element an. Dabei können wir jedoch nur unsere Gedanken kontrollieren; die Gefühle in den tieferen Hirnarealen können wir nicht steuern. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Gefühle ebenso wie unsere Gedanken wahrnehmen und dysfunktionale Muster gegebenenfalls durchbrechen. So muss eine kleinere Enttäuschung durch den Partner eben nicht in einem wiederkehrenden Muster in eine grundsätzliche Frage nach der Zukunft der Beziehung münden – mit Hilfe unserer Vernunft können wir sie als das erkennen, was sie ist: ein Kratzer, aber kein Totalschaden.

Ähnlichkeiten zur Empirie

Das Vier-Säulen Konzept von Thomashoff drängt auf einen Vergleich mit den ebenfalls vier Säulen, die Emily Esfahani Smith als Voraussetzung für eine geglücktes Leben findet. Der Psychoanalytiker Thomashoff identifiziert seine vier Säulen auf der Grundlage der neueren, oft theoretischen, Hirnforschung. Dagegen basiert Smith ihre Säulen auf den weitgehend empirischen Ergebnissen der Positiven Psychologie. Trotz dieser Unterschiede im Ansatz gibt es doch Ähnlichkeiten bei den Grundlagen für ein gelungenes Leben. Was bei Thomashoff die guten Beziehungen sind, drückt Smith als das (etwas weiter definierte) Gefühl der Zugehörigkeit aus. Thomashoffs Säulen des aktiven Bewirkens und der Stimmigkeit zeigen Ähnlichkeiten mit den Konzepten der Bestimmung und der Bedeutung konsistenter Geschichten, die Smith hervorhebt. Dagegen finden die Ideen des Stressmanagements (Thomashoff) und der Verbindung zum großen Ganzen (Smith) keine direkte Entsprechung.

Insgesamt bietet “Das gelungene Ich” einen zugänglich geschriebenen Überblick über neuere Funde der Hirnforschung vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Theorie. Die konkreten Tipps für ein gelungenes Leben sind nicht so konkret ausformuliert wie bei Smith – vielleicht auch eine Folge des psychoanalytischen Hintergrunds des Autors, der konkrete Interpretationen und Handlungsanweisungen erst aus dem persönlichen Zusammenspiel zwischen Analytiker und Patient vorsieht.

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